Selbständig Daten austauschende Maschinen entfesseln neue Servicewelten

Februar 2013

M2M / Selbständig Daten austauschende Maschinen entfesseln neue Servicewelten
Autonome mobile Datenkommunikation setzt Wachstumsimpulse.

 

Unternehmer können Geräte, Maschinen und Anlagen jetzt doppelt und dreifach für sich arbeiten lassen. In vielen M2M-Projekten erfüllen Maschinen bereits heute nicht mehr nur ihre angestammte Funktion, sondern tauschen darüber auch selbständig Informationen aus. So entstehen Datenpools, aus denen sich enorme Vorteile durch Prozessverbesserungen, Einsparungen und davon abgeleiteten Dienstleistungen erzielen lassen.

"Die Maschine-zu Maschine (M2M) Kommunikation steckt nach wie vor im Dornröschenschlaf. Einmal wachgeküßt, wird sie sich zu einer Dienstleistungs-Plattform riesigen Ausmaßes entwickeln," formuliert Bettina Horster das M2M-Potenzial. Die Chefin der auf mobile Lösungen und Portale spezialisierten Vivai Software AG zitiert Erhebungen von Booz & Company, nach denen das globale Marktvolumen mit M2M-Services In 5 Jahren bei rund 19 Milliarden US-Dollar liegen wird. Zeit also für Unternehmen jeder Größenordnung, so Horster, schleunigst in die M2M-Technik einzusteigen. Jeder könne profitieren, sei es als Anwender und damit als Datenlieferant oder als Anbieter innovativer Lösungen.

Die Bandbreite an möglichen M2M-Anwendungen reicht von industriellen Automatisierungs-, Mess- und Steuerungssystemen über Logistik- und Flottenmanagement bis hin zu Bezahlterminals und Verkaufsautomaten. Im Vordergrund stehen meist Prozess- und Kostenoptimierungspotentiale, die mit M2M Anwendungen realisiert werden sollen.

Hierfür werden Geräte, Fahrzeuge, Maschinen und ganze Fertigungsanlagen mit Mobilfunkmodulen ausgestattet. In ihnen stecken handelsübliche oder verkleinerte SIM-Karten, daneben eine Schaltung, die Betriebszustände und Ortungsdaten in Telematikdaten übersetzt und per Mobilfunk überträgt. Mit diesen Modulen halten Maschinen, gegebenenfalls gemeinsam mit anderen Maschinen, Kontakt zur Unternehmens-IT. Und zwar ohne dass ein Mensch die übertragenen Daten jemals mehr anfassen, in Augenschein nehmen oder in weiterverarbeitende Systeme eingeben müsste. Bereits bis 2020, so Marktbeobachter, werden sich mehr Maschinen über Mobilfunknetze unterhalten als Menschen.

Diese Entwicklung kann Eric Schneider, Vorstand der deutschen M2M-Alliance nur bestätigen: „Bis vor Kurzem war das Angebot und Einsatzgebiet von M2M noch leicht überschaubar – und bestand hauptsächlich aus Insellösungen innerhalb einzelner Unternehmen oder Branchen. Das hat sich grundlegend geändert. Heute bewegen wir uns weg von Individuallösungen und hin zur Industrialisierung. M2M verzeichnet Wachstumsraten von 30-40 Prozent pro Jahr."

Auch Georg Steimel zufolge, Leiter der Gruppe M2M Solutions beim chinesischen TK-Ausrüster Huawei Technologies in Düsseldorf, sorgt M2M für eine weitere Rationalisierungswelle: „Mit Hilfe dieser Technik können Unternehmen ihre Kosten senken und Effizienzsteigerungen, Zeitersparnisse und Wettbewerbsvorteile erzielen.“ Von bis zu 50 Milliarden verkauften SIM-Kartenmodulen bis 2020 im Bereich M2M ist die Rede. Ein großes Potenzial also, das es mit neuen Anwendungen zu füllen gilt. Hierfür hat Steimel einen konkreten Anwendungsfall aus Großbritannien parat. Dort werden die Verbrauchswerte für Gas und Strom über Gateways des Herstellers Zigbee an einen von den Energieversorgern betriebenen so genannten Home Communication Hub übertragen, den Huawei gemeinsam mit Landis+Gyr entwickelt hat. Damit lassen sich jetzt Verbräuche ermitteln und steuern, CO2-Werte beobachten sowie Prozesse optimieren und neue Geschäftsmodelle aufsetzen.  

Ein Beispiel aus dem Agrarsektor zeigt, dass an den Voraussetzungen für hohen Nutzen durch M2M-Technik allerdings noch gefeilt werden muss: Der Chef eines landwirtschaftlichen Großbetriebes hat seine Mähdrescher-Flotte bereits am Vorabend auf den Ernte-Einsatz vorbereitet - "konfiguriert", heißt das im Neudeutsch moderner Landwirte, wo ein Arbeitsplatz heute rund 300.000 Euro kostet und damit mehr als doppelt so teuer ist wie ein durchschnittlicher Arbeitsplatz in der gewerblichen Wirtschaft.

Anhand von Daten über erreichte Qualität des Erntegutes, Bodenbeschaffenheit und Wetter hat er Schnitthöhe, Bereifung und Motorleistung für Antrieb und Schneidwerke seiner Hochleistungsmaschinen exakt eingestellt. Hierfür hat er alle Informationen via Hof-WLAN als Datensatz auf die Bordcomputer übertragen. Doch sobald er den Hof verlässt, schlagen die Probleme zu: Der Wechsel vom WLAN ins Mobilfunknetz, mangelhafte Netzabdeckung, vor allem aber fehlende Möglichkeiten, die mobil erzeugten Daten bei jedem Netzwechsel mit zu nehmen, machen die beste Technik weitgehend wirkungslos.

Zwar gibt es hier und da Ansätze wie das Kommunikationssystem ISOBUS für die Automation von Arbeitsvorgängen in der Landwirtschaft, aber dieser und andere Protokolle wie CANBUS oder CANopen sind nicht miteinander kompatibel. Was im Agrarsektor ebenso wie für alle Maschinen einsetzende Unternehmen fehlt, ist ein Standard, in dem die Kommunikation über sämtliche Netz-, Protokoll-, Endgeräte-, Server- und Prozeßsteuerungsgrenzen hinweg möglich ist. Nur dann könnte ein Landwirt, ein Mieter von Baumaschinen oder ein Flottenmanager seine Teilprozesse koordinieren. Und nur so wäre es möglich, einen Gesamtprozess tatsächlich anzustoßen, durchzuführen, zu finalisieren und vor allem anschließend zu analysieren, um ihn zu verbessern.

Doch Rettung naht. Vergleichbar mit der Entstehung des heute weltweit verbreiteten Standards für digitale Mobilfunknetze GSM entwickelt ein deutsches Konsortium bestehend aus der Claas Gruppe, Vivai und der FH Dortmund derzeit einen neuen Standard für die mobile Maschinenkommunikation. Unterstützt wird die Gründungsgruppe vom Industrieverband VDMA, an den der Standard nach Fertigstellung übergeben wird. "Uns ist klar, dass wir für dieses Projekt starke Partner brauchen. Claas selber, aber auch der VDMA sind international gut vernetzt und können dem Standard zu grenzüberschreitender Geltung verhelfen" formuliert Horster die Stoßrichtung.

Geplant ist, unter dem Projektnamen "M2M Teledesk" bis spätestens Ende 2014 einen Standard für die gesamte Kommunikation von Maschinen und Anwendungen auf Infrastruktur-, Prozess- und Managementebene aufzusetzen. Dieser soll zunächst im Agrarsektor gelten und dann auf alle Industriebereiche, zum Beispiel auf Baumaschinen und den Logistiksektor, ausgedehnt werden. Auf dem Weg dahin erfolgt der Aufbau einer Referenz-Plattform mit eigenen und Partner-Teillösungen bis Mitte 2013.

Der Einsatz des Standards wird immer dann wirtschaftlich sinnvoll sein, wenn der Einsatz von Maschinen besser koordiniert und damit auf Prozessebene optimiert werden kann. Dazu Christian Rusch, Projektleiter bei Claas: "Wir müssen über unsere Maschinengrenzen hinaus denken und, wie unsere Kunden, von einer Produktsicht zu einer Prozesssicht gelangen." Dazu braucht der moderne Landwirt belastbare Informationen. Genau die will ihm das EU-geförderte Projekt M2M Teledesk verschaffen.

Was heute noch als Maschine-zu-Maschine-Interaktion in diversen Einzelprojekten ein Nischendasein fristet, wird mit der neuen Norm zu einer breiten Marktbewegung gebündelt. Damit startet in Europa erneut ein starker Wachstumsmotor. Und die Weitsicht der M2M Teledesk-Initiatoren könnte sich lohnen. Denn einen Landwirt interessiert heute vor allem, was es ihn kostet, eine Tonne Getreide ins Silo zu bringen - und nicht in erster Linie der Anschaffungspreis einer einzelnen Maschine. Wenn beim Maishäckseln der Abtransport der Ernte vom Feld nicht reibungslos funktioniert, können diese Verzögerungen den Landwirt gut 1000 Euro und mehr kosten – pro Tag. Hier wird deutlich, was mit deutlicher Effizienzsteigerung möglich ist.

Auch weil einzelne Maschinen zunehmend an ihre Leistungsgrenzen stoßen, kommen  neue Möglichkeiten, das Zusammenspiel mit anderen Maschinen zu verbessern, gerade recht. In Zukunft, so Horster, gehe es darum, maschinelle Kommunikations-Infrastrukturen, industrielle Prozesse und unternehmerische Entscheidungswege gleichzeitig zu betrachten. "Unser Standard wird diese Gesamtsicht bieten und damit nicht nur im Mobilfunk für neues Wachstum sorgen, sondern auch zu einer völlig neuen Servicelandschaft führen."

Im Rahmen der Standardisierung wird auch das viel beschworene „Internet der Dinge“ für mobile Arbeitsmaschinen zur Realität. Denn nicht nur Maschinen, auch jedes in der industriellen Produktion bewegte Einzelteil und jede Trägereinheit können in Zukunft mit einer IP-Adresse versehen und verwaltet werden. Einmal in einen Kommunikationsstandard gegossen, spielt es keine Rolle, welche Technik zur Datenübertragung zum Einsatz kommt. "Ist eine Vernetzung aller beteiligten Systeme gegeben, können die darauf aufbauenden Dienste gemanagt werden.", konstatiert Hans-Peter Grothaus, Leiter Entwicklung Systembasierte Dienstleistungen bei Claas.

Der permanente Anstieg von Umsätzen mit Modulen, Mehrwertdiensten und Verbindungen in der mobilen digitalen Machinenkommunikation gibt Claas, Vivai und Partnern Recht. Die Analysten von Berg und Beecham prognostizieren für alle drei Segmente starkes Wachstum. In 2011 wurden weltweit Kommunikationsmodule für 869 Mio. Dollar, Mehrwertdienste für 983 Mio. Dollar und Mobilfunkverbindungen für 3,391 Mrd. Dollar verkauft. Bis 2016, so die Marktbeobachter, würden die Modulpreise Dank hoher Stückzahlen sinken und gleichzeitig die Umsätze mit Diensten und Verbindungen sprunghaft steigen: Auf 1,603 Milliarden bei Modulen, 5,799 Milliarden bei Diensten und 9,758 Milliarden bei Verbindungen.

Die Idee der Vernetzung scheint denkbar einfach, birgt aber enorme Herausforderungen. Ziel bei der Nutzbarmachung von Daten ist es, unterschiedliche Hersteller sowie Kommunikationsarchitekturen zu vernetzen. Die M2M Teledesk-Initiatoren und daraus hervorgehende Anbieter werden schon bald digitale Agenten bereitstellen, die den benötigten Daten und Datenströmen Sinn und Richtung geben.

Damit stellen die findigen M2M Teledesk-Fachleute die Informations- und Kommunikationstechnik wieder vom Kopf auf die Füße. Viel zu lange schon kreisen Anwendungsszenarien um technische Begriffe statt um handfeste Lösungen. Mit den schlauen Apps wird es erst im Agrarsektor, dann in allen industriellen Bereichen zu einem praktischen Angebot von Echtzeit-Informationen und darauf aufsetzenden Praxisanwendungen kommen. Netzverfügbarkeit, Breitband, Verarbeitungs-Leistung und Intelligenz werden uns davon befreien, Maschinen zu steuern und uns die Möglichkeit geben, uns nicht mit ihren Betrieb, sondern mit ihrem Nutzen zu beschäftigen.

Bis der M2MT-Standard steht und greift, können Mittelständler in nützlichen Nischenlösungen die Vorteile abschöpfen und ihre Marktposition verbessern. Die WMF AG aus Geislingen an der Steige setzt M2M-Technik derweil im Geschäftsbereich Kaffeemaschinen ein. In Zeiten, wo Kaffee nicht mehr nur im Café, sondern auch "to go" konsumiert wird, folgt auch der Spezialist für vollautomatische Kaffeemaschinen dem Trend der Mobilisierung. Vor allem die Betreiber gewerblicher Kaffeemaschinen in der Systemgastronomie haben jetzt die Möglichkeit, das Geschehen an ihren Heißgetränke-Automaten zentral zu messen, zu steuern und zu managen.
 
Dafür haben die Geislinger rechtzeitig den Einsatz der Mobilfunk-basierten Technik für die Fernabfrage von Verbrauchs-oder Zustandsdaten ausführlich getestet. Systempartner ist die Inside M2M GmbH aus Garbsen, die ihre Monitoring-Lösung ’M2MGate Network’ in Verbindung mit einem RDA-Modul (Remote Data Access) an die Anforderungen von WMF anpassten.  "Zuverlässigkeit, Leistungsfähigkeit, Flexibilität und Skalierbarkeit sind unerlässliche Anforderungen an eine moderne M2M-Lösung. 'M2MGate Network' erfüllt all diese Anforderungen, und bietet damit auch eine optimale Basis für die M2M-Anwendung der WMF AG," so Derek Uhlig, Geschäftsführer der Inside M2M.

Heute verfügt die WMF AG über ausgereifte M2M-Modultechnik und über ein entsprechendes Internetportal. Mit dem lassen sich die gesammelten Daten je nach Bedarf von Restaurantketten und Tankstellen-Shops und Co. beliebig auswerten. "Wie verkaufen sich die Getränke über den Tag?" "Wie müssen die Maschinen an den Standorten dimensioniert sein, brauche ich eine große oder zwei kleinere, um bei Stoßzeiten keine langen Warteschlangen zu haben?" Solche Fragen lassen sich jetzt anhand der ausgelesenen Daten ohne das Zutun Dritter beantworten.
 
Noch mehr Wertschöpfungspotenzial aber liegt in der Möglichkeit, verschiedene Formen der Verkaufsförderung durchzuspielen. Zeigt ein Automat trotz anderweitig registriertem hohem Besucherverkehr unterdurchschnittlichen Kaffee-Absatz, läßt sich der Verkauf durch gezielte Marketing-Aktionen ankurbeln. Oder Catering-Unternehmen können, ganz im Ton der Zeit, einen so genannten Office Coffee Service mit pay-per-cup-billing anbieten. Hierbei lassen sich  Tassenpreis, Automatenmiete und Nebenkosten mit Live-Verbrauchsdate durch M2M so austarieren, daß unterm Strich und pro Monat eine vernünftige Gewinnmarge für alle bei attraktivem Preis für den Kaffeekunden herauskommt.
 
"Gerade solche daten-intensiven Vorgänge lassen sich natürlich nur dann gewinnbringend realisieren, wenn man erstens die Daten überhaupt hat und diese zweitens schnell und einfach auswerten kann," sagt Oliver Schneider, Geschäftsbereichsleiter Kaffeemaschinen bei der WMF AG. Für ihn ist das Engagement für M2M-Technik eine strategische Investition: "Wir sehen, daß unsere Großkunden den Einsatz ihrer Kaffeemaschinen heute und in Zukunft optimieren wollen, und zwar zentral, ressourcenschonend und mit ebenso ausführlichen wie verlässlichen Daten. Mit unserer M2M-Technik bieten wir das bereits heute an. Und zwar schon mit bidirektionalen Modems, so dass Großkunden die Auswertungen auch modifizieren können. Dadurch haben wir den Fuß im Geschäft der Zukunft. "
 
Für die Zukunft rechnet Schneider damit, dass bis 2014 schon ein Viertel der Neugeräte in der Systemgastronomie mit M2M-Technik ausgestattet sein werden. "Das wird unsere Marktposition festigen und ausbauen, weil wir hierzulande die einzigen sind, die über ein breitgefächertes Modellprogramm eine für den Gastronomie-Kunden bezahlbare technische Lösung anbieten. " 

  • In 5 Jahren wird das globale Maktvolumen mit M2M-Services bei rund 19 Milliarden US-Dollar liegen

  • Nach einer Studie von IDC entwickelt sich der europäische M2M-Markt in seit 2010 bis 2015 mit einem Wachstum von zwölf Prozent im Jahresdurchschnitt

  • Integrierte Telematik und Flottenmanagement sind einer der größten Antreiber im M2M Markt. Nach Angaben des Londoner Marktforschungsunternehmens Analysys Mason wird die gesamte Industrie bis 2014 auf ein Volumen von über 43 Mrd. Euro anwachsen